Militär-Humoreske von Ludwig Kaula
in: „Hagener Zeitung”, Unterhaltungs-Blatt vom 4.3.1896
„Väterchen!” sagte Marie, Tochter des Herrn Oberst von Kranz, „es wäre doch wohl besser, wenn Du Dir demnächst eine Brille anschafftest —”
„Wozu?” unterbrach sie ihr Väterchen, entsetzt von der Zeitung aufschauend.
„Ich meine,” entgegnete Marie, „daß es Deine Augen sehr schonen würde. Denn Du mußt doch zugeben, daß sie sich in der letzter Zeit leider recht verschlechtert haben!”
„Nichts gebe ich zu!” fuhr Kranz auf. „Was soll diese einfältige Rederei? — Meine Augen sind gottlob so vorzüglich wie sie nur sein können -”
„Aber Väterchen!” versuchte seine Tochter einzuwenden.
Doch der Herr Oberst, der in diesem Punkte sehr kitzlich war, polterte erregt weiter:
„Was bezweckst Du mit dieser Vorhaltung, die ich — Gott weiß warum — seit langem von allen Kameraden und Vorgesetzten hören muß? — Willst Du mir damit auch zu verstehen geben, daß ich für den „Blauen Brief” — Himmeldonnerwetter, der verdammte blaue Brief bringt mich noch um — reif geworden sei? — ! — Das sage ich Dir, willst Du nicht, daß ich strengere Saiten gegen Dich aufziehe, dann komme mir nicht mehr mit dem läppischen Gewäsch! — Ich bin nicht kurzsichtig, damit Punktum! Noch bin ich dienstfähig, denn ich weiß sehr wohl, daß ich bald den Laufpaß bekommen werde, wenn mich unser Kommandierender mit einer Brille herumlaufen sieht!”
„Herr Premierlieutenant von Tiefenbach! meldete der Diener.
„Ich lasse bitten,” entgegnete der Oberst, während Mariechen rosig erglühend geräuschlos verschwand, um dem gleich darauf in großer Gala eintretenden Premierlieutenant nicht zu begegnen. Mit freundlichem Anstandslächeln seinem Adjutanten einen Sitz anbietend, fragte ihn der Oberst:
„Nun, mein Lieber, was verschafft mir das Vergnügen? Jedenfalls nichts Geringes, da ich mich nicht entsinne, Sie jemals so feierlich — so in Extase erblickt zu haben! — Nun? —”
„Gestatten der Herr Oberst,” preßte Tiefenbach sichtlich befangen hervor, „daß ich mir die Freiheit nehme, Sie in einer nichtdienstlichen Angelegenheit zu sprechen, denn ich wollte mir erlauben — ! — ! Doch um ohne Umschweife aufs Ziel zu gehen —”
„Bitte sehr darum,” unterbrach ihn der Oberst rasch, „auch außerdienstlich immer soldatisch! Liebe Vorpostengefechte nicht! Immer frisch darauf los und wenn es sein muß, den Feind direkt aufs Haupt geschlagen, — eh' — — was ich eben natürlich nur bildlich ausgedrückt haben wollte!”
„Ganz Recht,” beeilte sich Tiefenbach den famosen Witz seines Vorgesetzten zu belachen. „Nun denn, Herr Oberst — ich — ich bin gekommen, um — um Sie höflichst um die Hand Ihrer Tochter zu bitten!”
„Ab!” entfuhr es dem überraschten Kranz, während Tiefenbach, seiner Erregung nicht mehr Meister, bei den letzten Worten aufgesprungen war:
„Herr Oberst! Sagen Sie nicht Nein, denn ich glaube versichern zu dürfen, daß Sie nicht nur mich sondern vor allen Dingen auch Ihr einziges Kind schwer verletzen würden, wenn Sie meine Bewerbung ausschlügen!”
„Ganz dasselbe habe ich meinem Schwiegervater gesagt, als ich seinerzeit um meine Gattin — Gott habe sie selig — bat,” brummte der Oberst ungerührt, „und deshalb will ich an Sie auch die Erwiderung richten, die ich von ihm erhielt!”
Freudig zuckte Tiefenbach zusammen, doch kalt lächeld für Kranz fort:
„Nicht vor gewonnenem Siege Viktoria schießen? Also sehen Sie! Mein Schwiegervater sagte erst Ja, nachdem ich ihm — dem alten berühmten Haudegen — die Versicherung gegeben, solange mich unser Herrgott hier unten wirtschaften läßt, dem Wehrstande anzugehören — sein Blut dürfe nur für unsere Hohenzollern fortleben! — Auch ich habe mir die Anschauung zu eigen gemacht, daß nur der Soldat der wahre Mann ist, und ich selbst würde keinen Augenblick zögern, meinem Leben ein Ende zu machen, sollten jemals — Gottlob ausgeschlossene Zustände eintreten, die mir verböten, meinem Könige weiter zu dienen!”
„Ja, aber Herr Oberst,” erwiderte Tiefenbach schüchtern, „ich z. B. kann mich doch garnicht verpflichten, Zeitlebens Soldat zu bleiben, weil ich beim etwaigen Tode meines Papas gezwungen bin, sofort die Bewirtschaftung unserer ausgedehnten Güter in die Hand zu nehmen, wie mein Vater überhaupt schon seit langem wünscht.
„Ein Civilist ist nur ein halber Mann, und niemals werde ich Jemanden, der Aussicht hat, sehr bald um seine bessere Hälfte gebracht zu werden, mein Kind zur Gattin geben — Punktum!”
„Herr Oberst,” rief Tiefenbach bestürzt, „das kann Ihr letztes Wort nicht sein! Erstens gestehe lch offen ein, daß es entschieden eine Ueberhebung von uns Soldaten wäre, auf andere Stände herabzusehen — ”
„Ah — ” unterbrach ihn Kranz erregt.
„Ganz gewiß!” fuhr Tiefenbach hitziger fort. „Denn wie vielen von uns ist es vergönnt, bis an ihr Ende die Unsrigen zu heißen? Kleinere Fehler, die gesellschaftliche Kreise nie beachten, und die das Alter nolens volens mit sich bringt, machen häufig eine Fortsetzung des Dienstes unmöglich — und man ist eben Civilist, wie man vorher Soldat war! Denken Sie an sich selbst, Herr Oberst — ”
Wütend brauste der auf: „Was unterstehen Sie sich?”
” — an Ihre immer zunehmende Kurzsichtigkeit?” vollendete Tiefenbach unbeirrt.
„Unerhört!” tobte Kranz, „Ich kurzsichtig? — Ich?” — Ah, Sie gedenken dies alberne Märchen weiter zu kolportieren, daß man endlich auf mich aufmerksam werde, auf mein Gebrechen — d. h. welches selbstredend nicht besteht — daß man mir einen blauen Brief zuschickt? Einen blauen Brief — Herr — Sie sind ein Unverschämter!”
„Herr Oberst,” entgegnete Tiefenbach gefaßt und ruhig,„wenn Sie nicht das Alter meines Vaters hätten, wüßte ich Ihnen auf diese Beleidigung eine Antwort zu geben! So denke ich, daß es ebenso ehrlich gehandelt ist, wenn ich Ihre Worte Ihrer Erregtheit zuschreibe und sie einfach vergesse! Natürlich ist keine Aussicht, daß ich vor Zurücknahme Ihrer Kränkung mehr mit Ihnen außerdienstlich verkehren kann!”
Stramm seinen Vorgesetzten grüßend, verließ er das Zimmer, während der Herr Oberst sich in einem mehrstündigen Monolog davon überzeugte, daß seine ihm allseitig immer eindringlicher nachgesagte Kurzsichtigkeit barer Unsinn sei, da er ganz gut im Stande war, das einige hundert Schritte entfernte und von seinem Fenster aus sichtbare Firma-Schild eines Kaufmanns zu lesen — welche Prüfung er übrigens schon seit Jahren vornahm, ohne daß er jemals den Namen nicht entziffert hätte.
Kaisermanöveg!
Das war das Wort, welches dem Herrn Obersten von Kranz schon den ganzen Sommer schwere Stunden bereitet hatte, und die ihm unterstellten Kriegsscharen konnten ein Liedchen singen von der rücksichtslosen Energie, mit der ihr Oberst sie in kriegsbereiten Zustand zu versetzen gesucht hatte. Aber er hatte auch Erfolg gehabt. Ruhig durfte er sich zugestehen, daß bei seinen Mannschaften alles „klappen” und ihm daher das heißersehnte Avancement sicher sein würde! — Nur eins flößte ihm zuweilen noch eine gelinde Furcht ein; — seine völlige Unkenntnis des Terrains, auf dem das Manöver abgehalten werden sollte. — Jedoch — er würde schon die Gefilde mit dem ihm eigenen scharfen Blicke genügend übersehen, um einer Blamage aus dem Wege zu gehen.
Der dritte Manövertag war hereingebrochen! Heute sollte die Entscheidung fallen und der kommandierende General machte den um ihn versammelten Offizieren noch mal klar, um was es sich heute im Besonderen handele.
„Sie wissen,” führte er schließlich aus, „daß Seine Majestät heute den Befehl über unser Korps übernommen, und es versteht sich von selbst, daß es daher unsere einfache Pflicht ist, den Sieg davon zu tragen! Da wir auf einem so ausgedehnten Gelände kämpfen, ist es unmöglich, daß ein Einzelner die Schlacht in allen ihren Teilen allein übersehen kann, weshalb ich Sie, meine Herren, nochmals dringend ersuche, selbständig zu handeln, wenn ihnen dazu vom Feind Gelegenheit geboten wird, ohne erst meine Direktive abzuwarten. „Sie, Herr Oberst von Kranz, haben infolge der ausgezeichneten Haltung Ihrer Truppen die Auszeichnung erhalten, den heute gefährlichsten Platz, den östlichen Flügel zu sichern. Halten Sie fleißig Umschau — Herr Oberst, es gehören nur ein paar gesunde Augen dazu. sich vor Ueberrumpelung zu schützen — und damit Gott befohlen, meine Herren!”
Man trennte sich, und unser Oberst ritt, nur von seinem Adjutanten Tiefenbach begleitet, seinem erhöht gelegenen Beobachtungsplatz zu, um die ganze Umgegend, besonders die vor ihm sanft anschwellenden Bergeshöhen, von wo aus allein ein Angriff des Feindes möglich war, aufs Genaueste im Auge zu behalten! Während er angestrengt auslugte, ohne natürlich etwas zu gewahren, dachte er mit Stolz —
„Herr Oberst!” rief plötzlich Tiefenbach.
„Was giebt's?” fragte Kranz, durch die Störung nicht gerade angenehm berührt.
„Sehen Sie dort,” versetzte Tiefenbach eifrig „mir däucht jener schwarze Punkt —”
„Was däucht Ihnen?” meinte Kranz gereizt, „was sehen Sie schon wieder?”
„Daß dort durch das südliche Thal sich unzweifelhaft der Feind nähert, sieht er jetzt auch noch einem Punkte ähnlich,” entgegnete Tiefenbach, „und sehen Sie — in der That, auch dort, mehr nach Osten ebenfalls, Herr Oberst, soll ich das Signal zum Vorgehen geben lassen?”
„Wollen Sie mich blamieren, Herr?” schnauzte Kranz wütend, „Sie haben wohl noch nicht ausgeschlafen, daß Sie am helllichten Tage Gespenster sehen?”
Während Tiefenbach zornerfüllt zur Seite trat. und die schwarzen Punkte weiter beobachtete, sank sein Oberst in seine Grübeleien zurück und— dachte mit Stolz an die herrlichen Worte, die ihm der Kommandierende vorhin gesagt. Wie wunderbar mußte es sich ausnehmen, wenn bei der Kritik eine zarte Andeutung von der Rangerhöhung eines so verdienten Offiziers gemacht wurde —
Die Hufschläge eines wild daherjagenden Pferdes schreckten ihn abermals auf und zurückschauend sah er den eben aus den Häuserreihen des Dorfes hervorsprengenden Adjutanten des Kommandierenden, der ihm atemlos zuschrie, daß sein Chef anfrage, warum der Herr Oberst nichts unternehme, indeß ihm der Feind völlig umzingle und einschließe.
Erst jetzt starrte Kranz um sich und wahrhaftig — da tauchten aus der Ferne, wohin seine Augen nur noch schwach reichten, endlose Heerscharen, die sich in immer deutlicher werdenden Zügen zu einem eisernen Ring um sich schlossen. Vor Schrecken wie gelähmt, wollte er seine Befehle erteilen, als ein abermaliges Pferdetraben ertönte und der — kommandierende General selbst wutschnaubend heranjagte. „Unerhört,” rief er schon von weitem, „unerhört!” Sie können mir durch eine solche unglaubliche Unvorsichtigkeit den wunderbaren Manöverplan verderben, trotzdem ich Ihnen so viel verraten hatte, was Sie zu thun haben! — Aber ist es denn ein: Wunder? Wenn Leute, die längst ihre Entlassung nachgesucht haben sollten, an verantwortungsreichen Posten stehen, dann kann es ja doch nichts werden. Sie dürfen sich auf die Kritik freuen, Herr Oberst!
Keines Wortes mächtig, blickte Kranz, Hilfe und eine Ehrenrettung suchend, um sich, als auf einmal Tiefenbach vortrat und entschlossen sagte: „Verzeihung, Herr General, wenn ich zu sprechen wage, aber es gilt, unsern verehrten Herrn Oberst von der schweren Anklage der Unsicherheit zu befreien. Nicht er ist Schuld an dem über uns hereingebrochenen Unheil — sondern ich. Mir — seinem zukünftigen Schwiegersohn hatte er die Beobachtung des Feindes anvertraut, während er gezwungen war, seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken! Mich trifft also Ihr niederschmetterndes Urteil allein!”
„Dann bitte ich um Entschuldigung, Herr Oberst,” erwiderte der General höflich, höhnisch fortfahrend: „aber ich begreife nicht, wie Sie Ihre Tochter einem Herrn versprechen konnten, der sich anscheinend lebhaft sehnt, in den Zivilstand zurückzusinken! Solch ein verdienter Offizier wie Sie konnte doch sicher unter Unseresgleichen Auswahl halten.”
Damit ritt er fort, während Kranz, wie von einem Alp befreit, aufatmete.
* * *
Als der General nicht mehr sichtbar war, wandte sich Kranz bewegt zu Tiefenbach, und nachdem er ihm herzlich die Hand gedrückt, sagte er schmunzelnd: „Das war ein großartiger Streich von Dir, Du Teufelskerl! Sei denn in Gottesnamen mein Schwiegersohn — auch wenn Du in einigen Tagen den blauen Brief erhälst! — Aber das „Unverschämt” von damals nehme ich nicht zurück, denn zarter kann man Dein heutiges Benehmen nicht benennen, wenn es Dir auch glücklich gelungen, mich dadurch vor der Verabschiedung zu retten —! Aber — weißt Du, — ich glaube, es wird doch gut sein, — wenn — ich — ich mir zu Hause einen — Klemmer kaufe, selbst auf die Gefahr hin, trotzdem den verdammten blauen Brief zu erhalten, denn ich sehe ein, ich bin nun einmal wirklich der kurzsichtige Oberst.”
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